Ivan Lukerya, stellvertretender Minister für Entwicklung der Gemeinden und Territorien der Ukraine beschrieb zunächst die Lage in seinem Land: „Viele Städte müssen mit Bombardierungen leben. Kritische Infrastruktur, die Strom- und Wasserversorgung, wird täglich beschossen mit dem Ziel, die Bevölkerung einzuschüchtern.“ Allein in Charkiw sei jedes dritte Wohnhaus zerstört oder schwer beschädigt. In dieser Situation müssten Kommunen zusätzliche Aufgaben übernehmen, wie zum Beispiel die Versorgung von Binnengeflüchteten. Trotzdem: „Die Ukraine steht geschlossen zusammen wie nie zuvor“.
Anschließend präsentierte Ivan Lukerya einen dezidierten Plan für den Wiederaufbau der Ukraine. Die Kosten hierfür werden laut Weltbank auf circa 349 Milliarden US Dollar geschätzt (Stand Anfang Juni 2022, die Schäden nehmen aber täglich zu). Aufgeteilt ist die Ukraine dabei in vier Regionen, je nach geografischer Lage zum Kriegsgebiet, Grad der Zerstörung und wirtschaftlicher Stellung. Ein kurzfristiger Plan für die kommenden 12 Monate fokussiert dabei zunächst auf die circa 40.500 wichtigsten Objekte mit den Schwerpunkten der Reparatur oder Wiederaufbau von Wohnhäusern, der Bildungs-, Gesundheits-, Strom- und Wasserversorgung sowie Brücken und Straßen mit einem Finanzierungsvolumen von circa 3,4 Millarden US Dollar. Er appellierte an die Partnerschaften ein oder mehrere dieser Objekte zu fördern. „Jeder Beitrag zählt, auch wenn er noch so klein ist.“ Je schneller der Wiederaufbau voran ginge, desto eher wäre die Ukraine auch bereit für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union.
Wiederaufbau als entwicklungspolitische Aufgabe war auch das Thema der anschließenden Podiumsdiskussion, der sich Gabi Schock, Vorsitzende des Ausschusses für Kommunale Entwicklungszusammenarbeit im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) und Anja Wagner, Referatsleiterin, Referat 513 Länder und Kommunen des BMZ, stellten. Victor Podorozhnyi, Generaldirektor der Direktion für Regionalpolitik des Ministeriums für Entwicklung der Gemeinden und Territorien der Ukraine und Olena Simonenko, Beraterin des stellvertretenden Leiters vom Büro des Präsidenten der Ukraine konnten aufgrund einer unterbrochen Internet- und Stromversorgung in ihren Städten leider nicht hinzugeschaltet werden.
Gabi Schock zeigte sich beeindruckt von der Detailtiefe des Wiederaufbauplans, „auf dem man gut aufbauen könne“. Der RGRE, so Gabi Schock, sehe sich in erster Linie als Transmitter, um den Informationsfluss und die Vernetzung zwischen europäischen Städten zu fördern, Doppelarbeiten zu vermeiden und Gute Praktiken zu dokumentieren und zu verbreiten.
Anja Wagner betonte, dass sich das BMZ der Lage in der Ukraine bewusst sei und derzeit dabei sei, gemeinsam mit anderen Gebern wie der EU die Hilfe zu koordinieren und voranzubringen, um die Lage zu stabilisieren. Die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 seien dabei ein wichtiger Referenzrahmen für die Ausgestaltung der langfristigen Unterstützung.
Kommunale Beiträge zum Wiederaufbau war das Thema der zweiten Podiumsdiskussion:
Oleksandr Markushyn, Bürgermeister von Irpin, beschrieb die Lage seiner Stadt. Irpin war die meistumkämpfte Stadt im Oblast (Verwaltungsgebiet) Kiew und wurde zu 70 Prozent zerstört. Im Frühjahr gelang die Befreiung und damit der Wiederaufbau. Die Stadt verfüge jedoch über keine eigenen finanziellen Mittel. Der Wiederaufbau gelänge nur mit externer Unterstützung, derzeit unter anderem mit großer Hilfe des Roten Kreuzes.
Maryna Denysiuk, leitende Projektmanagerin und Teamleiterin, Koordination der Erstellung des Wiederaufbauplans der Ukraine, Büro der Reformen des Ministerkabinetts der Ukraine, erläuterte, dass der Wiederaufbau in unterschiedlichen Tempi in den vier Regionen verlaufe. Region 1, die kriegsnahen Gebiete, ist derzeit noch primär auf humanitäre Hilfe angewiesen. In Region 2, den befreiten Gebieten, konzentriere man sich auf den Wiederaufbau der wichtigsten Infrastruktur. In Region 3, der Unterstützungsregion, primär im Zentrum des Landes, würden inzwischen erste langfristigen Entwicklungspläne entwickelt und Region 4 im Westen des Landes ständen neben der wirtschaftlichen Entwicklung vor allem die Versorgung der Binnenvertriebenen im Vordergrund. Hier wäre auch internationales privatwirtschaftliches Engagement wichtig.
Dr. Theophil Gallo, Landrat des Saarpfalz-Kreises, erläuterte wie die Zusammenarbeit mit acht polnischen und sieben ukrainischen Landkreisen mit begrenzten Mitteln, aber viel Engagement funktioniert. Und Michael Cyfka, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Langenlonsheim-Stromberg, beschrieb wie nach Unterstützungsleistungen im Bereich der Trinkwasseraufbereitung, des Brand- und Katastrophenschutzes die Gemeinde die Zusammenarbeit mit der Stadtgemeinde Myrhorod am 21. September 2022 durch eine Partnerschaft formalisiert hat.
Dr. Wilhelmy, Leiter der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt von Engagement Global, wies darauf hin, dass das bestehende Netzwerk der deutsch-ukrainischen Kommunalpartnerschaften ab 2015 bereits den Dezentralisierungsprozess in der Ukraine unterstützt habe. Die innerhalb des Netzwerks bestehenden Verbindungen hätten es ermöglicht, nach Kriegsbeginn in Städtepartnerschaften schnell und unbürokratisch gemeinsam zu agieren. Deutsche Kommunen können ihre ukrainischen Partner auch weiterhin bei der Transformation ihrer Verwaltungssysteme unterstützen.