Sie sind zivilgesellschaftlich äußert engagiert. Mal auf den Kern reduziert: Was möchten Sie mit Ihrem Engagement bewegen?
Da muss ich ein bisschen differenzieren. Ich arbeite im Centrum für Bürgerschaftliches Engagement (CBE e.V.) in Mülheim. Dort bin ich Projektleitung und es ist meine Aufgabe, ehrenamtlich Engagierte zu beraten, zu qualifizieren und zu vermitteln. Ehrenamtliches Engagement muss dabei auch reflektiert werden. Ich habe zum Beispiel ein Projekt entwickelt, das geflüchtete Menschen nicht nur auf die Rolle der Nehmer*innen reduziert, wenn sie Unterstützung erhalten. Diese Menschen kommen mit Biografien, mit Mehrsprachigkeit und vielen anderen Kompetenzen. Sie sind Architekt*innen, Ingenieur*innen, Lehrkräfte. Manche sprechen mehr als fünf Sprachen. Wir müssen sie also als Akteur*innen sehen. Sie sind engagiert und die Stadtgesellschaft profitiert von ihren Kompetenzen. Wir müssen uns öffnen als Institutionen, Menschen mit Migrationsgeschichte einbeziehen und als Akteur*innen wertschätzen.
Den Verein Axatin e.V. habe ich gegründet, weil ich rebelliert habe. Ich habe gesehen, wie damals vor 20 Jahren Deutsche in Senegal Projekte unterstützt haben und dabei aber koloniale und rassistische Gedanken fortgeführt haben. Das wollte ich so nicht hinnehmen. Ich habe gesagt: Ihr könnt euer Wissen bringen, aber ihr müsst das Wissen der Menschen vor Ort respektieren und dann machen wir etwas zusammen. Mit dem Axatin e.V. wollte ich diese koloniale Kontinuitäten also aufbrechen. Ich wollte mein Wissen über Senegal und Deutschland zusammenbringen und selbst etwas in meinem Land tun. Mir ist es wichtig, mich lokal und global zu engagieren. Denn manchmal habe ich den Eindruck, viele Leute hier in Deutschland ignorieren die Perspektiven der Menschen aus dem Globalen Süden.
Was konnten Sie schon bewegen? Worauf sind Sie besonders stolz?
Als Gymnasiallehrerin ist mir Bildung wichtig und so habe ich mit meinen verbündeten Deutschen eine Schule in Senegal gegründet. Wir haben die Netzwerke, das Geld und Wissen von hier mit meinem Netzwerk in Senegal zusammengebracht. Das ist für mich Entwicklungszusammenarbeit. Auch wir Senegales*innen können nicht denken, dass die „weißen Leute“ alles machen und das Geld bringen. Alle müssen machen, was sie können. Dabei ist Partizipation wichtig. Zum Beispiel haben wir einen inklusiven Workshop zum Thema Bildung in Senegal durchgeführt – mit Dorfbewohner*innen, Professor*innen, Studierenden, Frauen der Frauenorganisation, Analphabet*innen, dem Dorfchef, den Lehrkräften und dem Schulamt. Deren Perspektive vor Ort ist mir wichtig, denn sie sind die kompetenten Menschen vor Ort. Diesen Prozess begleitet zu haben, darauf bin ich besonders stolz. Die ersten Kinder haben im letzten Jahr ihr Abitur gemacht. Außerdem ist die Schule ein zentraler Ort, wo sich die Menschen treffen. Wenn ich vor Ort bin, dann freue ich mich, die Kinder zu sehen. Diese Bindung ist mir wichtig, sie ist menschlich und für mich nachhaltig. Für mein entwicklungspolitisches Engagement habe ich die EINE WELT-Medaille des BMZ erhalten. Auch das macht mich stolz.
Hier in Mülheim bin ich im Bildungsausschuss, im Jugendhilfeausschuss und ehrenamtliche Richterin für Jugendliche. Bei all dem geht es mir immer um die Menschenrechte. Ich bin stolz, dass ich die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle auch gegen einigen Widerstand durchsetzen konnte. Sie ist vor allem für Menschen aus dem Globalen Süden wichtig, denn es gibt zwar viele Formen von Diskriminierung, aber Rassismus ist laut Studien ganz oben. Auch für entwicklungspolitisches Engagement gibt es Hindernisse, die mit institutioneller Diskriminierung und mit Rassismus zu tun haben. Das ist traurig, aber das muss man angstfrei benennen. Ich bin eine schwarze Frau, ein sehr authentischer Mensch und auch sehr kritisch. Wenn eine schwarze Frau Kritik übt, wird das nicht so gern gesehen.
Hat Ihr eigenes Engagement auch andere Menschen in Bewegung gebracht? Wie konnte das gelingen?
Mein Engagement hat schon viele Menschen angesteckt. Zum Beispiel arbeite ich eng mit dem Schulleiter in Senegal zusammen, der sogar Mitglied bei Axatin Senegal geworden ist und auch die Frauenorganisation dort unterstützt. Das berührt mich. Auch die Lehrkräfte sind sehr engagiert und bleiben manchmal länger, um Kindern zu helfen, die zuhause keine Unterstützung haben. Außerdem habe ich das Schulamt angesteckt. Sie haben eine Baubeauftragte geschickt, die den gesamten Schulbau begleitet und kontrolliert hat. Die deutsche Botschaft hat ebenfalls unterstützt und der damalige Botschafter war vor Ort. Das ist für mich Engagement und Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteur*innen. Die Frauen haben auf meine Empfehlung eine Frauenorganisation gegründet, um nicht von Männern abhängig zu sein. Vorher mussten sie ihre Mädchen oft aus der Schule holen, damit sie zuhause helfen. Also haben wir auf Augenhöhe mit ihnen gesprochen, gefragt was sie brauchen, und gemeinsam eine Lösung gefunden. Das war dann eine Getreidemühle. Die Mädchen bleiben jetzt in der Schule und die Frauen verdienen Geld und unterstützen sich gegenseitig. Auf deutscher Seite sind wir international aufgestellt, darunter Professor*innen, ehemalige Abgeordnete, Pädagogi*innen und Lehrkräfte. Kürzlich konnten wir auch noch eine Professorin aus Dortmund gewinnen, die zu Rassismus forscht und mit uns zusammenarbeiten möchte.
Was ist Ihr Geheimnis? Wie kann man Leute in Bewegung bringen?
Durch Menschlichkeit und Wertschätzung. Egal was ich tue, ich möchte menschlich sein und sehen, was die Menschen brauchen. Dabei hat mich die afrikanische Philosophie „Ubuntu“ geprägt. Mit dieser Haltung steckt man auch junge Menschen an. Zum Beispiel habe ich einen Schüler aus einer Schulpartnerschaft mit Engagement Global für Axatin e.V. gewonnen und er ist jetzt mein Stellvertreter. Er hat schon an seiner Schule etwas bewegt und wir bekommen von dort Spendengelder. Außerdem war er öfter in Senegal, um dort ein Praktikum zu machen, Bäume zu pflanzen und so weiter. Auch zwei andere junge Menschen aus Deutschland und Frankreich haben sich vor Ort engagiert und sind Mitglieder in unserem Verein geworden.
Gibt es eine konkrete Situation oder Begegnung in Ihrem entwicklungspolitischen Engagement, die Sie besonders bewegt hat?
Für mich ist Gesundheit ein sehr wichtiges Thema. Sehr bewegt hat mich ein Kind, das in der Savanne von einer Schlange gebissen wurde. Es gab kein Auto, kein Krankenhaus, nichts. Der Schulleiter hat mich angerufen und ich konnte mit meinem Netzwerk in Senegal organisieren, dass das Kind sofort in ein Krankenhaus gebracht wurde. Ich selbst war ja hier in Deutschland, aber mein ganzes Herz war in Senegal. Es hat mich sehr bewegt, dass wir es geschafft haben, ein Leben zu retten – nicht alleine, sondern gemeinsam. Das bewegt mich immer, dass ich nicht alleine bin, sondern engagierte Verbündete mit mir aktiv sind.
Was möchten Sie als Nächstes bewegen?
Ich wünsche mir eine Städtepartnerschaft mit dem Globalen Süden in meiner Kommune. Mülheim hat zwar europäische Städtepartnerschaften mit England, Frankreich und so weiter und ich finde es auch wichtig, Europa zu fördern. Ich übersetze gerne für den Oberbürgermeister und auch ehrenamtlich für die deutsch-französische Städtepartnerschaft. Aber nur Europa, das ist aus meiner Sicht eurozentristisch. Ich wünsche mir also eine Städtepartnerschaft zwischen Senegal und Mülheim.
Mein Land, der Senegal, hat viel in mich investiert und Mülheim und Deutschland profitieren davon, weil ich hier lebe, arbeite und Steuern bezahle. Nun möchte ich auch in Senegal investieren, indem ich in Deutschland und in Senegal Bildungsarbeit weiter fördere. Diese Bildung ist nachhaltig. Wir müssen erkennen, dass wir alle Menschen sind und einander brauchen. Zusammenarbeit heißt auch, voneinander zu lernen. Das muss schon bei den Kindern anfangen. Ich habe eine Mini-Schulpartnerschaft mit Grundschulen zwischen Mülheim und Senegal. Sie kommunizieren über Zoom. Das ist so schön, weil die Kinder ihre Fragen ganz offen und authentisch stellen und wir so Vorurteile abbauen können. Als Patin im Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ möchte ich Rassismus und diskriminierungskritische Bildung in allen Instanzen verankern. Als stellvertretende Vorsitzende der Eine Welt Netz NRW e.V. stehe ich für Globales Lernen, BNE, internationale partnerschaftliche Zusammenarbeit und für den Abbau kolonialer Kontinuitäten.