Frau Kail, für diejenigen, die mit dem Konzept der gendersensiblen und auf soziale Nachhaltigkeit ausgelegten Stadtplanung noch nicht vertraut sind: Wie würden Sie diesen Ansatz kurz und verständlich erklären?
Eva Kail: In unseren Städten haben unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Bedürfnisse. Für eine Person, die morgens ins Büro geht, abends spät zurückkommt und am Wochenende ins Grüne fährt, ist die Qualität des unmittelbaren Wohnumfelds weniger wichtig. Es gibt aber Lebensphasen und Lebenssituationen, in denen dessen Qualität sehr wichtig wird. Beispielsweise, wenn ich klein bin, wenn ich hochbetagt bin oder wenn meine Mobilität eingeschränkt ist. Insbesondere auch, wenn ich diese Personen betreue oder begleite.
Für sie alle ist es entscheidend: Wo ist der nächste Park? Komme ich dort barrierefrei hin? Wie lange muss ich an heißen Tagen durch die Sonne gehen? Gibt es im Park ausreichend Platz und Angebote für alle? Wo ist der nächste Supermarkt? In welcher Taktung fährt der öffentliche Nahverkehr? Wie nah ist die nächste Haltestelle? Gibt es grüne Innenhöfe, die meine Wohnung in der Nacht abkühlen?
Die Stadtplanung orientierte sich lange vorwiegend an den Bedürfnissen und Mobilitätsgewohnheiten einer spezifischen Gruppe: den berufstätigen Männern. Die Anforderungen im Bereich der Haus- und Care-Arbeit sowie die Freizeit- und Sportinteressen von Frauen wurden größtenteils außer Acht gelassen.
Was für ein Potenzial sehen Sie in der gendersensiblen Stadtplanung in Bezug auf die Erreichung der Agenda-2030-Ziele?
Eva Kail: Ich glaube, dass sie ein großer Hebel sein kann, um Ziele wie inklusive, nachhaltige Städte und Gemeinden, Gesundheit und Wohlergehen, Klimaschutz oder Geschlechtergleichstellung umzusetzen. Die gender- und diversitätssensible Stadtplanung ist eine spezifische, zielgruppenorientierte Form der Qualitätssicherung von Planungs- und Entscheidungsprozessen, wie sie auch für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele notwendig sind. Ich vergegenwärtige mir dabei: Wem hilft eine Maßnahme? Wer wird durch sie benachteiligt?
Bislang werden Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse stark aus einer Mittel- oder Oberschichtsperspektive durchgeführt, die eher auf traditionellen Familienstrukturen und auf eine starke Inanspruchnahme von Fläche und Investitionsmittel für den Autoverkehr beruht. Es sollte in der planerischen Aufmerksamkeit aber mehr darum gehen, die Stadt in Bezug auf Ressourcen wie Verkehrsflächen fair zu teilen, wie wir es in Wien genannt haben. Ich sage in diesem Zusammenhang immer: „Setz die Gender-Brille auf, sonst bleibst Du auf einem Auge blind!“.