Herr Dr. Fassbinder, Sie vertreten als Oberbürgermeister die Stadt Greifswald. Greifswald ist entwicklungspolitisch sehr aktiv. Wie kam die Partnerschaft mit der brasilianischen Stadt Pomerode zustande?
Dr. Fassbinder: Wir sind im internationalen Austausch sehr aktiv – seit vielen Jahren schon mit einer Reihe von Partnerstädten, vor allem im Ostseeraum, aber eben auch in Südamerika. Und wir sind als Stadt seit vielen Jahren klimapolitisch aktiv. Die Partnerschaft mit Pomerode gibt es schon seit 21 Jahren und wir kooperieren auf kultureller Ebene, auf Unternehmensebene und auf Universitätsebene. Im Laufe der Zeit ist das Thema Klimaschutz dazugekommen. Wir haben uns im Jahre 2014 gemeinsam um das Förderprojekt „Kommunale Klimapartnerschaften“ der Servicestelle beworben. Das ist bis heute eine feste Säule unserer Zusammenarbeit.
Was sind die genauen Kooperationsfelder dieser Partnerschaft?
Dr. Fassbinder: Das ist vor allem das Thema Mobilität bzw. das Thema Radverkehr. Dort sind wir in Greifswald seit vielen Jahren deutschlandweit vorne dabei. Pomerode möchte sich auf den Weg machen, mehr Menschen für das Radfahren zu begeistern. Ganz konkret möchten wir den Ausbau der Radinfrastruktur fördern. Das tun wir bereits hier und in Pomerode.
Wir erfassen auch den sogenannten Modal Split. Wie viele Menschen nutzen Rad, wie viele Auto, wie viele Bus, wie viele gehen zu Fuß, um ihre Wege zurückzulegen?
Der dritte Pfeiler der Zusammenarbeit in diesem Bereich ist die Öffentlichkeitsarbeit, die Umweltbildung. Und der vierte ist die Umrüstung auf LED-Beleuchtung. Wir machen das in beiden Städten schon sehr konsequent und tauschen uns darüber aus.
Mit dem Thema Abfall gibt es noch ein weiteres Arbeitsfeld im Bereich der Klimapartnerschaft. Dort haben wir in erster Linie Pomerode die Ansprechpartner im Landkreis für die weitere Zusammenarbeit vermittelt.
„Beide Städte sind sehr interessiert daran, weitere Projekte anzugehen.“
Was sind die nächsten Pläne für die Zukunft?
Dr. Fassbinder: Wir konzentrieren uns im Moment darauf, das aktuell laufende Projekt „Vom Auto aufs Rad – Klimaschutz kann jeder: Eine Stadt auf dem Weg zu nachhaltiger Mobilität“ bis 2023 abzuschließen.
Wir haben eine Nachhaltigkeitsstrategie als Stadt Greifswald verabschiedet, und darüber wollen wir jetzt mit Pomerode in einen Dialog treten. Wir möchten mit ihnen das Thema Klimaschutz erweitern auf das Thema Nachhaltigkeit und auch das Thema Umweltbildung stärker befördern. Beide Städte sind sehr interessiert daran, weitere Projekte anzugehen.
Woran erinnern sie sich gerne zurück im Zusammenhang mit dieser Städtepartnerschaft?
Dr. Fassbinder: Wie der Name Pomerode schon sagt, leben dort ausgewanderte Pommern. Das sind Menschen, die im 19. Jahrhundert Pommern verlassen und sich in Brasilien niedergelassen haben. Wir hatten einmal eine Delegation aus Pomerode zu Gast, die in Pommern-Platt, also Niederdeutsch, hier mit unseren Leuten sprechen konnte. Das fand ich schon sehr beeindruckend: Jemand kommt aus Brasilien und spricht Plattdeutsch mit uns. Das war so ein emotionaler Moment, der diese historische Tiefe und Dimension dieser Partnerschaft aufzeigt.
Zudem lernen wir – neben vielen persönlichen Begegnungen – das Thema Klimaschutz aus der Perspektive unserer Partner; aus einer Perspektive des Globalen Südens kennen. Und das ist das Bereichernde bei diesen Partnerschaften.
Was würden Sie anderen deutschen Städten mit auf den Weg geben, die mit dem Gedanken spielen, eine Klimapartnerschaft mit einer Stadt aus dem Globalen Süden einzugehen?
Dr. Fassbinder: Ich kann es nur jeder Stadt empfehlen. Pomerode, zum Beispiel, ist eine Stadt in einem Gebiet in Brasilien, das schon sehr entwickelt ist. Es gibt aber andere Regionen in der Welt, in denen die Infrastrukturprobleme oder auch die Armut größer sind. Ich denke, da ist der Perspektivwechsel noch einmal stärker. Aber das ist das Bereichernde, dass man sich austauscht, die Perspektive des Partners kennenlernt und manchmal die eigene Position hinterfragt und in einem anderen Blickwinkel sieht.
„Beide Partner können Erfahrungen einbringen, die zum Beispiel Ministerien oder Bundesbehörden nicht einbringen können.“
Dann gibt es die Möglichkeit, konkret vor Ort zu unterstützen. Gerade als Kommunen haben wir hier eine große Aufgabe. Wir können mit vielen Erfahrungen vor Ort kooperieren. Beide Partner können Erfahrungen einbringen, die zum Beispiel Ministerien oder Bundesbehörden nicht einbringen können, weil wir als kommunale Praktiker vor Ort die Themen kennen. Es zeigt sich, dass viele kommunale Themen weltweit die gleichen sind: Menschen mit Strom zu versorgen, mit Wasser, mit Straßen, mit Bildung, mit Kultur. Das sind Themen, die weltweit eigentlich die gleichen sind. Da kann man sich austauschen, sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen. So können wir den Blick auf unsere Probleme, auf unsere Welt schärfen.
Vielen Dank!
Dr. Fassbinder: Vielen Dank für das Interview und vielen Dank auch an die SKEW für die sehr produktive Zusammenarbeit und Unterstützung! Wir sind nicht nur mit Brasilien, sondern auch zum Beispiel mit der Ukraine schon länger über die Servicestelle und Engagement Global verbunden. Und das schätzen wir sehr.
Ein Interview von Burkhard Vielhaber