Kommunale Partnerschaften leben nicht zuletzt von gegenseitigen Besuchen und persönlicher Begegnung. Auch im Projekt „Kommunale Nachhaltigkeitspartnerschaften“, in dem Partnerkommunen gemeinsam an der Lokalisierung und Umsetzung der Agenda 2030 arbeiten, waren bislang mehrere physische Entsendephasen vorgesehen. Kommunale Fachleute besuchten sich gegenseitig, trafen sich zum Austausch über Nachhaltigkeitsthemen, lernten Projekte vor Ort kennen und stärkten so ihre Verbindungen. Die Corona-Pandemie setzte diesen persönlichen Treffen zunächst ein jähes Ende. In der Folge musste bereits der Auftakt der zweiten Phase der Kommunalen Nachhaltigkeitspartnerschaften im vergangenen Jahr im virtuellen Rahmen stattfinden. Vor allem aber gestalteten die elf am Projekt teilnehmenden Partnerschaften nun auch ihre erste Entsende- beziehungsweise Fachaustauschphase im Online-Format.
Technische Probleme stören den virtuellen Austausch
Der virtuelle Austausch ging mit zahlreichen Hürden einher. Immer wieder hemmten technische Störungen die Kommunikation. Geringe Bandbreiten und fehlende bzw. wenig leistungsstarke Hardware forderten die Akteurinnen und Akteure heraus. Auch für den sonst so wichtigen informellen Austausch mit Eindrücken vor Ort bot die virtuelle Umsetzung nur einen spärlichen Rahmen. Dies galt insbesondere für die neuen und jungen Partnerschaften, für die das persönliche Kennenlernen eine wichtige Rolle spielt – denn nicht selten erwächst die Dynamik in kommunalen Partnerschaften und die Motivation der engagierten Menschen auch aus persönlichen Verbindungen. Eine enge und passgenaue thematische Zusammenarbeit setzt zudem ein gutes Wissen um die jeweilige Situation voraus, die sich oft erst durch einen Besuch vor Ort richtig erschließt. „Das Leben drumherum spielt eine wichtige Rolle, um seine Partnerkommune besser zu verstehen und gemeinsam auf einer Ebene zu diskutieren“, beschreibt Tanja Helm, Klimaschutzmanagerin aus Schwabach die Notwendigkeit informeller Begegnung.
Überraschendes Potenzial
Trotz dieser Herausforderungen überraschte das neue Entsendungsformat mit vielerlei Potenzial für die Partnerschaftsarbeit. So etablierte sich bei einigen Partnerschaften recht schnell ein regelmäßiger Takt für die Online-Treffen, der nun in vielen Fällen über die intensive Fachaustauschphase hinweg beibehalten werden soll. Die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Treffen ermöglichten es, die gemeinsame thematische Arbeit neu zu strukturieren. Erste Ideen konnten bis zum nächsten Zusammenkommen überdacht, innerhalb der eigenen Kommune geprüft und weiterentwickelt oder mit zusätzlichen Informationen angereichert werden. Auch in der Zusammensetzung der Teams profitierten einige Partnerschaften vom virtuellen Format. Beispielsweise gelang es durch Treffen in unterschiedlicher Besetzung, auch Partner einzubinden, die bei einer Entsendung in Präsenz vermutlich nicht direkt in Kontakt miteinander gekommen oder in den Austausch eingebunden worden wären. Selbst die virtuelle Zusammenkunft von Stadtoberhäuptern ließ sich in diesem Rahmen realisieren. Auch in technischer Hinsicht zeigten sich die Nachhaltigkeitspartnerschaften durchaus kreativ und innovativ: So wurden verschiedene Plattformen virtueller Kommunikation erprobt, die Kommunikation via Messengerdiensten ausgebaut und die von der SKEW zur Verfügung gestellte Möglichkeit der Simultanverdolmetschung für die virtuellen Fachaustauschtermine intensiv genutzt.
Zwischenergebnisse belegen, dass digitale Zusammenarbeit auch ein Gewinn sein kann
Dass vor allem auch die fachliche Zusammenarbeit der Partnerschaften im virtuellen Format gut gelingen kann, belegen die Zwischenergebnisse der Nachhaltigkeitspartnerschaften. Meist rückte sogar der fachliche Austausch recht zügig in den Vordergrund, so dass bereits erste konkrete Projektideen für die weitere Zusammenarbeit entwickelt werden konnten.
Bietigheim-Bissingen etwa erarbeitete mit seiner argentinischen Partnerkommune Tupungato Ideen zur Vermessung und Dokumentation des dortigen Wasserversorgungsnetzes mit dem Ziel, Erkenntnisse für die Verbesserung der Trinkwasserversorgung und die Einsparung von Trinkwasserressourcen zu gewinnen. Die Partnerkommunen Saarbrücken und das honduranische Marcala organisierten einen Austausch ihrer Fairtrade-Steuerungsgruppen und bezogen dabei über 30 Akteure aus den beiden Kommunen ein. Eine in diesem Rahmen entwickelte Projektidee ist die Erstellung eines gemeinsamen Films zum Thema Fairer Handel. Auch der neu gegründeten Partnerschaft zwischen Pfaffenhofen und Turrialba in Costa Rica gelang es, die Themen ihrer Zusammenarbeit zu definieren. Geplant ist hier u.a. ein Bildungsprojekt zu abnehmender Bodenfruchtbarkeit bzw. Humusschicht und übermäßigem Pestizideinsatz für Landwirtinnen und Landwirte in Turrialba. Zur Bekanntmachung der Nachhaltigkeitsziele und Sensibilisierung für Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen planen Eschweiler und die brasilianische Partnerstadt Alta Floresta die Gestaltung eines Waldlehrpfads in beiden Kommunen in Verbindung mit der Ausbildung von Umweltscouts.
Zusammenarbeit bei der Erarbeitung von Nachhaltigkeitsstrategien
Mehrere Partnerschaften wollen zudem bei der Erarbeitung von Nachhaltigkeitsstrategien und geeigneten Indikatoren für eine nachhaltige Entwicklung ihrer Kommunen zusammenarbeiten. Dabei können die deutschen Kommunen auch von den Erfahrungen ihrer Partner aus Lateinamerika profitieren: So zeigt der Rhein-Kreis Neuss großes Interesse daran, wie die kolumbianische Partnerstadt Campohermoso den kommunalen Entwicklungsplan mit der Agenda 2030 und den globalen Nachhaltigkeitszielen verknüpft. Auch die teilnehmenden Kommunen aus Costa Rica nehmen bei der Lokalisierung der Agenda 2030 eine Vorreiterrolle ein.
Projektleiterin Vera Strasser zeigte sich beeindruckt von den Ergebnissen der virtuellen Austauschphase. „Es haben sich Kommunikationsmuster eingespielt, die vorher nicht direkt mitgedacht wurden. Ein regelmäßiger Jour Fixe und auch Gruppenchats sind selbstverständlicher geworden und ermöglichen den Austausch über die eigentlichen Entsendephasen hinaus. Das wird die Zusammenarbeit der Kommunen zukünftig sicherlich erleichtern.“ Wie fruchtbar virtuelle Entsendungen in der Praxis sein können, hängt – so die Erfahrungen aus den Nachhaltigkeitspartnerschaften – auch vom Stand der Projektplanung und der Art der Projekte ab. Technische Projekte, wie Infrastrukturthemen oder Abwassermanagement erfordern in der Regel eher eine Entsendung in Präsenz. Hier liegt das Potenzial der virtuellen Zusammenarbeit vor allem in der Vorbereitung. Projekte im Bereich der Öffentlichkeits- und Informationsarbeit zur Agenda 2030 hingegen lassen sich nach Einschätzung der Akteure durchaus auch virtuell gemeinsam planen und umsetzen.
Wunsch nach Präsenztreffen trotz positiver Erfahrungen
Trotz der insgesamt positiven Ergebnisse sehnen die meisten Nachhaltigkeitspartnerschaften für die weiteren Schritte ihrer Zusammenarbeit nun eine Entsendung in Präsenz herbei. „Wir haben gerade erst angefangen und wären deswegen auf ein erstes Live-Treffen angewiesen, um nun einen größeren Schritt nach vorne machen zu können“, erklärte Peter Stapel, Nachhaltigkeitsmanager in Pfaffenhofen. Ähnlich resümierte Bürgermeister Holger Schäfer aus Ottweiler das Potenzial der virtuellen Entsendung: „Das virtuelle Format ist durchaus geeignet in dieser Sondersituation, um die Verbindung nach Belén zu halten. Trotzdem bin ich unverändert ein Freund der Präsenz. Am besten geht es nun mal vor Ort an einem Tisch.“
Bis Mitte November 2021 steht für die Nachhaltigkeitspartnerschaften nun die zweite Entsendephase an. In dieser sollen die Ziele für die einzelnen Bereiche der Zusammenarbeit finalisiert und die geplanten Aktivitäten weiter ausgearbeitet und in einen Aktionsplan aufgenommen werden. Die Partnerkommunen stehen vor der Entscheidung, ob sie diese Entsendephase nochmals virtuell oder in Präsenz durchführen können und wollen. Klar ist, dass auch das erste Netzwerktreffen der lateinamerikanischen Kommunen im Anschluss an die zweite Entsendephase als virtuelles Format stattfinden wird, während das für Dezember angedachte zweite Netzwerktreffen der deutschen Kommunen als physische Veranstaltung geplant wird. In jedem Fall bestehen der Wunsch und die Hoffnung, dass im Rahmen dieser Netzwerktreffen auch Berichte aus der Praxis und von Besuchen vor Ort ausgetauscht werden können.