Welche Eindrücke haben Sie von Ihrer Reise mitgenommen?
Klaus Karl: Es war meine vierte Reise in den Libanon seit Mitte 2018. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die schrecklichen Bilder des Beiruter Hafenviertels, das vor einem Jahr bei einer Explosionskatastrophe zerstört wurde. Auch die Corona-Schutzmaßnahmen waren überall im Land sehr präsent. Nach wie vor sticht einem außerdem die Müllproblematik ins Auge, die sich nach meiner Einschätzung verschlechtert hat. Die Straßen sind leerer geworden, viele Restaurants geschlossen. Das größte Problem ist aber die Inflation, die sich dramatisch verschlimmert hat.
Auf welche Probleme wurden Sie in den Gesprächen mit kommunalen Repräsentanten aufmerksam gemacht?
Fast immer war die komplexe Situation im Land ein Thema. Beispielsweise sind viele Banken im Libanon geschlossen. Das libanesische Pfund ist fast nichts mehr wert.
Ihre Gemeinde Kißlegg in Baden-Württemberg arbeitet seit einigen Jahren mit der Gemeinde Rachiine im Libanon partnerschaftlich zusammen. Was zeichnet diese Partnerschaft aus?
Gegenseitige Wertschätzung, sehr großes Vertrauen und die Hoffnung, sich aufgrund der Zusammenarbeit besser zu verstehen, stehen bei unserer Partnerschaft im Fokus. Im Laufe der Zeit haben beide Seiten erfahren, dass es Ausdauer, Geduld und starken Willen braucht, um ein Ziel zu erreichen. Wir haben gelernt, nicht aufzugeben, auch wenn die Umstände widrig sind und unüberwindbar scheinen.
Neben der Explosion im Hafen von Beirut ist die Müllkrise im Libanon seit 2019 zum Sinnbild des Zusammenspiels aus Korruption, mangelnder staatlicher Kontrolle und schwacher Infrastruktur geworden. Deshalb ist ein mögliches zukünftiges Projektvorhaben innerhalb der Städtepartnerschaft die Verbesserung der Müllentsorgung in Rachiine...
Ein nachhaltiges Müll-Management und die Rückführung der Wertstoffe in den industriellen Kreislauf – in Rachiine soll dies lokal und beispielhaft auf die Beine gestellt werden, was bei uns heute fast selbstverständlich scheint. Doch auch in Deutschland hat es Jahrzehnte gedauert, um den Status quo zu erreichen. Unsere lokalen und regionalen Wertstoffhöfe sowie die Kompostanlagen dienen hier als Referenz.
Welche Ideen haben die Partnergemeinden zu Abfallverwertung und Recycling im Rahmen des möglichen Projekts?
Wir möchte ein System entwickeln, in dem die Haushalte den anfallenden Müll, der heute zum großen Teil illegal, aber dennoch teuer entsorgt oder verbrannt wird, vorsortieren. Anschließend könnte der Müll regelmäßig eingesammelt und getrennt nach Wertstoffen wie Plastik, Papier, Weißglas und Blechdosen weiterverkauft werden. Biomüll wollen wir im Rahmen des Projektes unter Zugabe von Grün-Abfällen aus der lokalen Landwirtschaft kompostieren und ebenfalls verkaufen oder in der Gemeinde verwerten. Geflüchtete – immerhin rund ein Viertel der Wohnbevölkerung – wollen wir bei einem zukünftigen Projekt unbedingt ebenfalls einbinden. Aufgrund ihrer Unterbringung haben sie grundsätzlich schlechtere logistische Rahmenbedingungen zur Lagerung von Müll.