Frau Grabe, die Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat sich mit Beginn ihrer Amtszeit dazu bekannt, eine feministische Entwicklungspolitik zu betreiben. Welche Bedeutung hat diese Aussage für Sie? Haben Sie sich darüber gefreut und welche Erwartungen haben Sie an die Politik?
Ja, darüber haben wir uns sehr gefreut als feministischer Verein. Das gibt dem Thema doch noch eine größere Sichtbarkeit. Wir haben ja gesehen, dass wenn im Ministerium ein bestimmtes Thema als Schwerpunkt gesetzt wird, auch wirklich Veränderungen angestoßen werden – wie das zum Beispiel mit den Lieferketten von Textilien schon geschehen ist. Deswegen freuen wir uns, dass das Thema Feminismus jetzt eine größere Bedeutung bekommen soll. Denn trotz aller Fortschritte gibt es noch viel zu tun! Wir erwarten von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, dass vor allem geschlechtsspezifische Diskriminierung stärker in den Fokus genommen wird. Bisher gibt es im Textilbündnis lediglich eine Arbeitsgruppe dazu, für die wir sehr kämpfen mussten.
Ihre Organisation setzt sich seit vielen Jahren für die Rechte der Frauen in der globalen Textilindustrie ein. Wie ist Ihr Verständnis von Feminismus? Und warum ist es so wichtig, den Fokus explizit auf die Frauen zu richten?
Um es kurz zusammenzufassen: Es geht darum, sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit weltweit einzusetzen. Hier in Deutschland sind wir sicherlich schon einen Schritt weiter, aber es gibt auch hier noch sehr viele Ungerechtigkeiten. Im Globalen Süden drücken sich soziale Folgen von Sexismus in Armut, Ausbeutung oder Gewalt aus. Daher schauen wir besonders auf die Arbeitsverhältnisse von Personen, die sich als Frauen identifizieren. Gerade im Textilsektor arbeiten vorwiegend Frauen und viele von ihnen werden diskriminiert. Unsere feministische Arbeit verfolgt das Ziel, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht Respekt erfahren, in Sicherheit leben und ein Auskommen haben.
In unserem Monatsfokus wollen wir die Forderung nach fairen Handels- und Produktionsbedingungen mit dem Ansatz der feministischen Entwicklungspolitik zusammenbringen. Wie passen die beiden Themen zueinander?
Ein großer Teil der Ungerechtigkeiten im globalen Handel hat die Ursache in kolonialen Strukturen. Darunter leiden in den Ländern des Globalen Südens große Teile der Bevölkerung. Doch dadurch, dass oftmals die Gesellschaften auch sehr patriarchalisch organisiert sind, werden vor allem die Frauen diskriminiert. Dass die Ungerechtigkeiten strukturell angelegt sind, zeigt sich in allen aktuellen Krisen: sie werden überall noch einmal verstärkt. Und wenn man da ein bisschen genauer hinguckt, dann fällt auf, dass bestimmte Gruppen noch stärker diskriminiert werden als andere. Das können wir nicht ignorieren. Wenn wir gerechtere Wirtschaftsverhältnisse und fairere Handelsbedingungen wollen, ist es deswegen unbedingt notwendig, eine feministische Perspektive einzunehmen.
Ist der Begriff feministische Entwicklungspolitik nicht etwas sperrig?
Ja, das stimmt. In Deutschland ist das Wort Feminismus immer noch ein bisschen negativ besetzt. In den USA ist das ganz anders. Da hat Barack Obama vor ein paar Jahren schon gesagt: Ja klar bin ich Feminist! Wer sich für Gerechtigkeit einsetzt, die oder der ist automatisch auch Feminist oder Feministin. Auch bei uns geht die junge Generation mit dem Begriff schon ganz anders um. Ich glaube, es hilft, mehr über die Ziele und Inhalte zu spreche. Auch wenn der Begriff sperrig ist – wenn klar ist, was hinter einer feministischen Entwicklungspolitik steckt, können fast alle die Ziele unterschreiben.
Unsere Servicestelle will mit ihren Angeboten die Kommunen unterstützen bei ihrem Einsatz für eine global gerechtere Welt. Ein wichtiger Ansatzpunkt für ein entwicklungspolitisches Engagement ist in vielen Kommunen eine faire öffentliche Beschaffung. Was würden Sie einer Kommune raten, die hier einsteigen will? Gerade aus dem Blickwinkel Ihrer Organisation?
Das, was das Lieferkettengesetz für größere Unternehmen fordert, gilt im Prinzip auch für Kommunen. Zunächst sollte sich eine Kommune darüber klar werden, was sie überhaupt beschafft. Es ist sicher sinnvoll, eine Bedarfsanalyse zu machen. Und dann gibt es ja bestimmte Produktgruppen, bei denen schon bekannt ist, dass da ganz offensichtlich Menschen- und Arbeitsrechte verletzt werden. Darunter zählen auf jeden Fall Textilien. Hier arbeiten aufgrund der sehr arbeitsintensiven Produktionsstufen vor allem Frauen und hier wissen wir, dass diese besonders diskriminiert werden. Dann kann geschaut werden, wie die nächste textile Beschaffungsrunde mit nachhaltigen Kriterien ausgeschrieben werden kann. Hier gibt es ja viele gute Unterstützungsmöglichkeiten durch die SKEW: Den Kompass Nachhaltigkeit, Schulungen oder juristische Beratung. Viele Kommunen haben diesen Weg bereits eingeschlagen und es gibt Möglichkeiten, sich untereinander auszutauschen. Keine Kommune ist alleine, sondern wird auf dem Weg begleitet.
Autorin und Interview: Julia Krakau