Herr Marwede, als Sie vor 20 Jahren das Themenfeld Fairer Handel und Faire Beschaffung aufgebaut haben, was waren für Sie die größten Herausforderungen?
Michael Marwede: Zu Beginn war die zentrale Herausforderung, die verschiedenen Akteurinnen und Akteure im Themenfeld Fairer Handel und Faire Beschaffung zusammenzubringen und ganz grundsätzlich Kommunen für das Thema zu interessieren. Beides gelang sehr gut mit dem erstmals in 2003 durchgeführten Wettbewerb Hauptstadt des Fairen Handels. Die Idee eines regelmäßigen Wettbewerbs entstand bereits 2001 auf der Abschlussveranstaltung der ersten bundesweiten „Fairen Woche“. Dort wurde von TransFair e.V. die Auszeichnung „Heimliche Hauptstadt“ an die Stadt Neuss vergeben, um zahlreiche städtische Aktivitäten, wie beispielsweise die Einführung der ersten „fairen Kamelle“ im Karneval, zu würdigen.
Was hat die Kommunen damals motiviert, am Wettbewerb teilzunehmen und warum bewerben sie sich auch heute noch um den Titel Hauptstadt des Fairen Handels?
Michael Marwede: Der Wettbewerb regte die Akteurinnen und Akteure vor Ort – die Stadtverwaltungen zusammen mit Nichtregierungsorganisationen, Weltläden, Vereinen und Kirchengemeinden – zur verstärkten Zusammenarbeit und zu lokalen Netzwerkgründungen an. Das attraktive Preisgeld, dessen Höhe im Jahr 2003 erst nach der Kür der Siegerinnen bekannt gegeben wurde, konnte von den Preisträgerkommunen eingesetzt werden, um ihr Engagement auszubauen und verstärkte damit die Sichtbarkeit des Fairen Handels.
Bis heute generiert der Wettbewerb eine Fülle von Projektbeispielen, die anderen Kommunen als Anregung dienen, um sich selbst in diesem Themenfeld zu engagieren. Die Projektbeispiele werden zu 95 Prozent von den Kommunen selbst durchgeführt. Es sind bereits erprobte konkrete Maßnahmen und damit sind sie ideal zur Nachahmung geeignet. Natürlich ist das Sichtbar- und Bekanntmachen der Beispiele weiterhin eine Herausforderung. Da lassen sich sicher noch neue innovative Modelle entwickeln. Aber schon jetzt können alle Beispiele über die Projektdatenbank Hauptstadt des Fairen Handels eingesehen werden.
Welche inhaltlichen Fragen und Themen beschäftigen die Kommunen besonders – sowohl damals als auch heute?
Michael Marwede: Großer Bedarf bestand hinsichtlich der Beschlussfassung zur Vermeidung von ausbeuterischer Kinderarbeit. Das erste Fachgespräch Faires Beschaffungswesen fand im November 2002 in Köln statt. Inzwischen wurden erfolgreich mehrere Rechtsgutachten zum Thema für die SKEW verfasst. Die SKEW bietet seit 2002 kontinuierlich Schulungen und individuelle Rechtsberatung zur Einbindung von Sozialkriterien in kommunale Ausschreibungen an.
Das große Interesse in den Kommunen führte 2007 zur Gründung des Netzwerks Faires Beschaffungswesen, das sich heute aus mehr als 250 Expertinnen und Experten zusammensetzt und weiterhin dafür wirbt, dass die kommunalen Verwaltungen mit der örtlichen Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um bestmöglich und rechtssicher die sozial nachhaltige Beschaffung voran zu bringen.
Welche Kooperationspartnerinnen und -partner waren für die Erfolgsgeschichten besonders wichtig?
Michael Marwede: An erster Stelle stehen hier natürlich deutsche Gemeinden, Städte und Landkreise, die im Zusammenspiel mit der örtlichen Zivilgesellschaft (von der Kirchengemeinde über den Partnerschaftsverein bis zum örtlichen Weltladen) die lokalen Fragen und Bedarfe in Kooperation mit der SKEW in Angriff nahmen. Hinzu kamen und kommen überregional arbeitende NROs wie beispielsweise die Christliche Initiative Romero (CIR), Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED), FEMNET und Fairtrade Deutschland. Sie bringen wertvolle Inputs ein, zum Beispiel in Form von Studien und Beratungen, bieten aber auch eigene Schulungen an, die Mitarbeitenden aus Kommunalverwaltungen offenstehen. Nicht zuletzt auch das 2002 in Köln gegründete „Forum Fairer Handel“ stellte gerade in den Anfangsjahren eine wichtige Partnerorganisation dar, denn hier trafen alle Akteurinnen und Akteure aus dem Themenfeld Fairer Handel zusammen, um Strategie und Ausrichtung abzustimmen.