Für eine nachhaltige und soziale Stadtentwicklung existieren dennoch keine Blaupausen. Jede Stadtentwicklungspolitik erfordert eine angepasste Strategie, die sowohl die kulturellen und naturräumlichen als auch die sozialen Voraussetzungen und Unterschiede berücksichtigen muss. Benachteiligte Quartiere in Entwicklungs- und Schwellenländern etwa können nicht zuletzt durch den Grad der Urbanisierung sehr unterschiedliche Formen annehmen. Vielerorts sind in informellen Siedlungen ohne ausreichende Versorgungseinrichtungen Nichtregierungsorganisationen aktiv geworden, um den negativen Auswirkungen auf die dort lebenden Menschen entgegenzuwirken. Sie übernehmen hierbei Aufgaben, die der Staat oder die Kommune nicht zur Verfügung stellen. Diese zivilgesellschaftlichen Träger fungieren somit oftmals als Vermittler zwischen öffentlichen Institutionen und der Bevölkerung in den benachteiligten Stadtteilen. Viele Kommunen und ihre Regierungen haben in der Folge den Nutzen dieser zivilgesellschaftlichen Aktivitäten erkannt und fördern diese durch soziale Programme und Entwicklungsprojekte.
Oftmals erproben Städte außerhalb Europas auch andere innovative Konzepte, die ihrem lokalen Kontext entsprechen. Beispielhaft genannt werden soll an dieser Stelle zunächst das Thema Mobilität.
Soll eine Stadtteilentwicklung inklusiv und sozial gestaltet werden, muss hier der Blick vom Stadtteil auch immer auf die Stadt als Ganzes gerichtet werden, um den Menschen durch die Integration des benachteiligten Stadtteils in die Gesamtstadt die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. So bedeutet der erleichterte Zugang für die Bewohnerinnen und Bewohner auch immer bessere Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten.
Besondere Aufmerksamkeit haben bei diesem Thema Seilbahnprojekte aus Südamerika erlangt. In Medellín (Kolumbien) und La Paz (Bolivien) wurden mit dem Bau der Seilbahnen Investitionen in die städtische Infrastruktur getätigt, um bislang aufgrund des hügeligen Terrains marginalisierte Bezirke besser an die Zentren anzuschließen. Flankiert wurden diese Verkehrsprojekte durch Investitionen in die soziale Infrastruktur: Schulen, Kindertagesstätten, öffentliche Bibliotheken und Plätze sowie Sportstätten haben insgesamt zu einer Aufwertung der benachteiligten Stadtteile beigetragen. Die dort lebenden Menschen fühlen jetzt bezogen auf die Gesamtstadt eine höhere Akzeptanz – und ein solcher Prozess gegenseitiger Wertschätzung hat somit auch positive Effekte auf den sozialen Zusammenhalt in der Gesamtstadt.
Bringt man Kommunen miteinander ins Gespräch zur Gestaltung von Mobilität, lenkt sich der Fokus schnell auf die Frage, wie die Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen angemessen berücksichtigt werden können. So geschehen zuletzt auf einer SDG-Dialogveranstaltung für kommunale Partnerschaften zwischen Deutschland und dem Westbalkan im August 2022 in Düsseldorf. Die Maßgabe „soziale Gerechtigkeit“ wurde dort in erster Linie im Sinne des Leitprinzips der Agenda 2030 „Leave no one behind“ diskutiert.
Beispielsweise dürfen Kosten und Preisgestaltung öffentlicher Mobilitätsangebote keine Zugangshürden für deren Nutzung darstellen. Das in Deutschland im Rahmen eines Entlastungspaketes vorrübergehend eingeführte „9-Euro-Ticket“ hat diese Debatte um die soziale Dimension im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) neu angestoßen. Auch die vorrangig ökologische Frage der Raumnutzung im Stadtverkehr schließt eine soziale Komponente ein. Fuß- und evtl. auch Fahrradverkehr, letzterer in Form von Sharing-Modellen, machen soziale Unterschiede am wenigsten sichtbar. Als die „demokratischsten“ aller Fortbewegungsarten ist ihnen damit nicht nur aus ökologischer Sicht Vorrang einzuräumen. Kommunen selbst sollten hier als Vorreiter vorangehen, zum Beispiel mit Dienstfahrrädern statt Dienstwagen.
Der Austausch zwischen den Kommunen führt auch zu inspirierenden Ideen für die sozial gerechte Gestaltung öffentlicher Räume und Grünflächen. Im Sinne sozial gerechter Stadtentwicklung sind diese vor allem auch als Alternative zu sonst meist konsumgebundenen Begegnungsorten einer Kommune zu denken, zum Beispiel in der Gastronomie. Sie fungieren als multifunktionale Gelegenheitsräume für die Begegnung unterschiedlichster Gruppen und bergen damit im wörtlichen Sinne die Chance, „Boden“ für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sein.
In Travnik (Bosnien und Herzegowina) etwa ist es gemeinsam mit der Partnerstadt Leipzig gelungen, die Hauptstraße der Kommune von einer reinen Verkehrsader in einen Ort der Begegnung umzuwandeln. Eine Fußgängerzone wurde eingerichtet, ein Radverkehrs- und Begrünungskonzept entwickelt und so ein für unterschiedlichste Zielgruppen und Generationen nutzbarer Stadtraum geschaffen. Mit der wichtigste Gelingfaktor des Projekts war die aktive Beteiligung und Mitbestimmung der Bevölkerung von Beginn an.
Solche Prozesse um die (Neu-)Gestaltung öffentlicher Räume können dankbare Spielräume und Übungsfelder für die Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern an kommunaler Entwicklung sein. Die Projekte sind in der Regel greifbar und lebensweltnah, Ergebnisse offenkundig und alltagsverändernd. Eine damit verbundene Chance liegt darin, dass Bürgerinnen und Bürger sich ihre Kommune aneignen, sich mit ihr identifizieren und sie bewahren (wollen).
Die Teilhabe an kommunalen Entscheidungen selbst ist dabei mit Hinblick auf soziale Gerechtigkeit nicht unbedingt ein Selbstläufer. Grundsätzlich ist sie nicht allein als eine Bringschuld von Bürgerinnen und Bürgern zu sehen. Um jene bereits erwähnte gemeinschaftliche Gestaltung von Stadt zu erreichen, muss sie vielmehr in aufsuchender Haltung aktiv von den Kommunen eingeholt und stimuliert werden. Wichtig sind eine zielgruppengerechte, multimodale Kommunikation und vielfältige informelle Beteiligungsinstrumente, die alle – von der Seniorin bis zum Jugendlichen – ansprechen. Die Kommunalverwaltung in Bijeljina in Bosnien und Herzegowina beispielsweise arbeitet sehr erfolgreich mit dem Instrument der Umfrage, um Ideen für Stadtentwicklungsvorhaben zu generieren und zu gestalten. Umgesetzt werden diese auf der Straße ebenso wie über soziale Medien, die die Stadtverwaltung bespielt.
In jedem Falle erfordern die gewünschte Teilhabe und die Aushandlungsprozesse zwischen Stadtbevölkerung und Kommune entsprechende Handlungskompetenzen auf allen Seiten. Dies verweist zum einen auf die hohe Bedeutung von politischer Bildung und der Erfahrung von Selbstwirksamkeit von Kindesbeinen an. Zum anderen können Kommunen über die partizipativen Elemente in Bürgerprojekten Diskussionskultur fördern und damit zu gesellschaftlichem Zusammenhalt beitragen.