Die Stadt Gudensberg wurde im Wettbewerbsdurchgang 2022 von „Kommune bewegt Welt“ für Ihr hervorragendes Engagement in Kooperation mit der Zivilgesellschaft ausgezeichnet. Sie handeln in Ihrer Verwaltung nach dem Leitbild einer bedarfsorientierten Entwicklungspolitik. Was genau bedeutet das und wo liegen die Vorteile dieses Ansatzes?
Bedarfsorientiert meint, dass wir mit unseren Partner*innen in Schtschyrez reden, bevor wir Ideen und Projekte der Zusammenarbeit entwickeln. Wir möchten herausfinden, wo die drängendsten Herausforderungen in unserer Partnerstadt liegen und an welchen Stellen wir dort gezielt durch Entwicklungszusammenarbeit unterstützen können. Die Bedarfe unserer Partnerkommune gleichen wir dann mit dem ab, was wir in Gudensberg bieten können. Wo haben wir die geeignete Expertise, gibt es bereits Best Practices in diesem Bereich und wer aus der Kommune kann mit an Bord genommen werden? Und damit sind wir auch schon bei der Zivilgesellschaft, weil ja vielfältiges Wissen auch in der Wirtschaft vor Ort und in den lokalen Vereinen steckt – etwa beim Deutschen Roten Kreuz – und dieses Wissen versuchen wir dann anzuzapfen und so ganz konkrete Projekte der Entwicklungszusammenarbeit zu entwickeln. Selbstverständlich interessiert uns auch, wie die Partnerkommune täglich arbeitet und Probleme löst. Wissenstransfer ist schließlich keine Einbahnstraße.
Inwiefern war der Gewinn der Auszeichnung 2022 für Gudensberg Ansporn und Motivation? Konnten Sie mit Ihrem Preisgeld neue Projekte angehen?
Die Auszeichnung war natürlich ein absolutes Highlight für unsere Stadtgesellschaft und ein wunderbares Zeichen der Anerkennung für eine kleine Gemeinde wie unsere mit etwas mehr als 10.000 Einwohnenden. Die Presse und Öffentlichkeit, die Gudensberg durch die Auszeichnung bekommen hat, war auch sehr wichtig für unsere politischen Gremien hier vor Ort, weil wir beweisen konnten, dass unser Handeln über die Ortsgrenzen hinaus wahrgenommen wird. Und letztlich haben wir uns natürlich auch sehr über das Preisgeld gefreut. Mit 20.000 Euro konnten wir hier noch mal viel umsetzen und anstoßen. Wir haben das Geld in verschiedene Projekte gesteckt: In ein Steigleiterfahrzeug für unsere Partnerstadt Schtschyrez, das nun vielfältig zum Einsatz kommt – zum Beispiel für den Brandschutz, für Baumschnitt, für Sachpflege der kommunalen Liegenschaften. Ein weiterer Teil des Geldes ging an unseren Gudensberger Partnerschaftsverein zur Finanzierung von Hilfstransporten in unsere ukrainische Partnerkommune, die viele Binnengeflüchtete aufgenommen hat und konkrete Bedarfe formuliert hat, um diese Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Einen großen Teil des Preisgeldes haben wir in die internationale Jugendbegegnung gesteckt. 2023 haben wir gemeinsam mit unseren Partner*innen ein Treffen für Jugendliche aus allen drei Partnerkommunen in unserer polnischen Partnerstadt Jelcz-Laskowice organisiert. Diese Begegnungstreffen gibt es schon seit 2016 – immer mit einem konkreten Thema wie zum Beispiel Demokratie auf kommunaler Ebene, geschichtliche Hintergründe unserer Städtepartnerschaften, Europafragen oder auch Biodiversität und Klimaschutz. Die Jugendbegegnung 2023 stand aber natürlich in Zeiten des Angriffskrieges gegen die Ukraine noch einmal unter neuen Vorzeichen und war für die Jugendlichen eine sehr besondere Erfahrung.
Mit dem Gewinn des Wettbewerbs hat Ihre Kommune bewiesen, dass auch kleine Kommunen in der kommunalen Entwicklungspolitik viel erreichen können. Warum haben kleine Kommunen vielleicht sogar einen Vorteil gegenüber den großen?
Da würde ich gerne das Stichwort „kurze Wege“ nennen. Sowohl in der Verwaltung als auch in der Stadtgesellschaft. Wir haben im Rathaus 30 Mitarbeitende. Man kennt sich, man kommt schnell miteinander ins Gespräch. Man kennt aber natürlich auch die Stadtverordneten, die Themen anregen und Projekte beschließen können. Genauso ist es in der Stadtgesellschaft. Die Menschen sind untereinander befreundet oder bekannt, viele sind in mehreren Vereinen aktiv – etwa bei der freiwilligen Feuerwehr, beim Deutschen Roten Kreuz oder im Chor. Der Informationsfluss ist schnell und direkt. Wenn es darum geht, die Feuerwehr in unserer ukrainischen Partnerstadt zu unterstützen, dann kann ich hier einfach jemanden von der hiesigen freiwilligen Feuerwehr ansprechen und ihn nach seiner Einschätzung fragen, wie man beispielsweise eine gemeinsame Ausbildung organisieren könnte. In einer kleinen Kommune kann man Expertise, Praxiswissen und Engagement aufs Beste miteinander verbinden.
Dazu möchte ich noch etwas ergänzen: Gerade für kleine Kommunen ist es da sehr hilfreich, eine so tolle Partnerin wie die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) zu haben. Nicht nur aufgrund der Förderprogramme, sondern vor allem wegen der persönlichen Beratung. In einer kleinen Kommune sind die zeitlichen und personellen Ressourcen meist sehr begrenzt, und viele Dinge weiß man einfach nicht. Es ist unglaublich wertvoll, dass man sich Hilfestellung geben lassen kann.
Was möchten Sie anderen Kommunen mit auf den Weg geben, die noch überlegen, ob sie sich am diesjährigen Wettbewerb „Kommune bewegt Welt“ beteiligen?
Die Teilnahme lohnt sich in vielerlei Hinsicht. Zum einen kann man mit einer Teilnahme sehr gute Öffentlichkeitsarbeit machen – in der eigenen Kommune, aber natürlich auch überregional. Außerdem ist die Wettbewerbsteilnahme ein Zeichen der Wertschätzung und der Anerkennung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Für uns war die Preisverleihung ein besonderes Highlight. Wir sind 2022 mit zwei Vertreter*innen des Gudensberger Partnerschaftsvereins und mit dem Stellvertreter unserer Bürgermeisterin zur Preisverleihung gefahren. Es war sehr bereichernd, sich mit Kolleg*innen aus anderen Städten auszutauschen, die sich mit ähnlichen Themen befassen. Ich finde es eine gute Idee, dass die diesjährige Preisverleihung im Rahmen der Bundeskonferenz der kommunalen Entwicklungspolitik (Buko) stattfindet. Damit nutzen vielleicht noch mehr Kommunen die Möglichkeit, sich auf der Konferenz untereinander zu vernetzen. Und nicht zuletzt spielt das Preisgeld natürlich auch keine unerhebliche Rolle. Ich denke, man darf sagen, dass es auch einen finanziellen Anreiz für die Teilnahme am Wettbewerb gibt. Das Preisgeld kann dafür genutzt werden, Projekte voranzubringen oder kann ein Grundstock dafür sein, weitere Gelder einzuwerben.
Warum ist Ihrer Meinung nach das kommunale Engagement in der Entwicklungspolitik wichtig? Wie profitiert auch eine deutsche Kommune von diesem Engagement?
Globale Probleme müssen auf allen Ebenen angegangen werden, und da ist die kommunale Ebene, bestehend aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft, den Menschen am allernächsten. Ganz gleich, ob es um Migrationsthematik oder die Klimapolitik geht, auf der kommunalen Ebene ist ein direktes und persönliches Engagement möglich. Mir gefällt die Idee der Städtepartnerschaften, weil sie zur Weltoffenheit beitragen und das eigene Handeln reflektieren. Ich persönlich finde es immer wichtig, Entwicklungszusammenarbeit auch im Kontext von Kultur, Jugendarbeit, Senior*innenarbeit oder Sport zu betrachten, weil es diese Bereiche überall gibt, weil sie die Möglichkeit eröffnen, dass sich Menschen unterschiedlicher Kulturen kennenlernen. Über einen sportlichen Wettkampf oder den Besuch eines Fußballspiels kommt man sich näher. Man lernt einander kennen und hat dadurch dann eine viel bessere Basis, um miteinander an konkreten Projekten zu arbeiten. Dieses Voneinanderlernen ist für mich das, was den Kern der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit ausmacht.