Wo stehen Kommunen in Sachen Nachhaltigkeit gerade?
Stefan Wagner: Das Thema ist schon recht präsent, jedoch immer noch ausbaufähig. Die wichtigste Aufgabe für die nächsten Jahre wird sein, mehr Kommunen für die Agenda 2030-Themen zu gewinnen. Um die Ziele regional umsetzen zu können, müssen sich Kommunen national und mit Kommunen des Globalen Südens stärker vernetzen. Die globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, Hunger und Armut können nur gemeinsam bewältigt werden. Die Konsequenz daraus ist, dass Kommunen weltweit miteinander solidarisch sein müssen, unter anderem indem sie sich für Nachhaltigkeit engagieren.
Was können Kommunen konkret tun, um die Themen der Agenda 2030 umzusetzen?
Einerseits sehr viel, denn ein Großteil der Umsetzung der 17 Ziele geschieht in den Kommunen. Dabei muss aber klar sein: die Agenda 2030 ist ein Dokument, das sich vor allem an Staaten richtet. Kommunen müssen die Agenda 2030 auf lokaler Ebene an ihre Bedürfnisse anpassen. Jede einzelne Kommune muss prüfen, was zu ihr passt und was realistisch zu leisten ist. Dieser Schritt ist allerdings nicht mit Bequemlichkeit zu verwechseln: es dürfen und sollen auch Ziele angegangen werden, die ambitioniert sind. Doch bei allem was schon geschafft ist und was wir noch angehen werden: wir müssen auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Ich denke nicht, dass bis zum Jahr 2030 alle Bürgerinnen und Bürger die Agenda 2030 mit ihren 17 Ziele und 169 Unterzielen kennen. Geschweige denn, dass die Kommunen all diese Ziele umgesetzt haben. Und bei großen Themen wie sozialer Teilhabe, Gerechtigkeit, Klimawandel und Migration kommen Kommunen nicht ohne staatliche Unterstützung aus. Kommunen können die Welt nicht alleine retten.
Mit dem Bonn-Pakt 2030 haben deutsche Kommunen zugesichert, dass sie mit vereinten Kräften die Umsetzung der Agenda 2030 vorbringen wollen. Muss diese Willenserklärung noch mit Leben gefüllt werden?
Die Stadt Bonn ist Namenspatronin des Pakts und fühlt sich der Erklärung – natürlich nicht nur deshalb – verpflichtet. Ich verstehe den Pakt als ein Dokument, das die Agenda 2030 auf die lokale Ebene herunterbricht. Er verdeutlicht, was Kommunen zu ihrer Umsetzung leisten können. Zunächst haben wir da das übergreifende Ziel: „2.030 Kommunen bis 2030!“ Der Pakt will erreichen, dass 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland bis 2030 in einer Agenda 2030-Kommune leben. In Deutschland gibt es knapp 11.000 Kommunen. Rund 1.000 engagieren sich schon in Agenda 2030-Prozessen. Ich halte das Ziel daher für erreichbar. Darüber hinaus verstehe ich den Pakt als Appell an alle Kommunen, für mehr Nachhaltigkeit aktiv zu werden. Und zwar weg vom reinen Umweltdenken. Ökologie, Soziales und Ökonomie – alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit müssen angegangen werden. In dieser Hinsicht ist seit der Entstehung des Dokuments viel passiert. Über die deutsche G7-Präsidentschaft etwa bringen sich die „Urban 7“, die Städte der sieben Industrienationen ein. So kommt die kommunale Ebene ins Spiel. Auch bezüglich des Ziels des Bonns-Pakts „Ausbau der Zusammenarbeit mit Schulen und Hochschulen“ haben Kommunen schon einiges vorangebracht.
Was hat Bonn schon für die Erfüllung des Bonn-Pakts getan?
Konkret haben wir uns bereits dem Schwerpunkt 2 des Pakts „die Wirkungen kommunaler Entwicklungspolitik sichtbar machen“ gewidmet. Wir haben eine Bonner Nachhaltigkeitsstrategie ausgearbeitet, die 2019 vom Stadtrat beschlossen wurde. Dabei haben wir die 17 Ziele auf sechs kommunale Handlungsfelder übertragen. In den Bereichen Mobilität, Klima und Energie, Arbeit und Wirtschaft, natürliche Ressourcen und Umwelt, gesellschaftliche Teilhabe und Geschlechtergerechtigkeit sowie globale Verantwortung und Eine Welt setzen wir die Agenda 2030 um. Die Berichterstattung über den Stand der Umsetzung erfolgt zum Beispiel über die Voluntary National Reviews. Durch den Dialog vor Ort ist den Bürgerinnen und Bürgern bewusst, welche Bedeutung und welchen Nutzen kommunale Entwicklungspolitik hat. Mit dem Aufbau eines Nachhaltigkeits-Hubs wollen wir außerdem die Wirtschaft – insbesondere Start-ups - stärker an das Thema Nachhaltigkeit heranführen und neue Geschäftsmodelle in diesem Bereich fördern.
Wie können weitere Kommunen für den Pakt begeistert werden?
Wir müssen auch kleinere Kommunen gewinnen. Das kann etwa geschehen, in man sich über die Metropolregionen vernetzt. Zum Beispiel in der Metropolregion Rhein-Neckar arbeiten Kommunen und Landkreise eng zusammen. Und die Metropolregion Nürnberg hat kürzlich eine Nachhaltigkeitscharta unterzeichnet. Im Grunde geht es darum, dass aktive Kommunen – und das sind oft die größeren, da sie mehr personelle und finanzielle Kapazität haben – Patenschaften für kleinere Kommunen und Landkreise übernehmen und sie bei der nachhaltigen Entwicklung begleiten.
Welche Netzwerke gibt es für Kommunen, um sich im globalen Kontext zu engagieren?
An Netzwerken, über die sich Kommunen austauschen können, fehlt es nicht. Ich komme gerade erst zurück aus Malmö in Schweden, vom Weltkongress von ICLEI, dem internationalen Städtenetzwerk für Nachhaltigkeit. Über das Netzwerk arbeiten rund 2.500 Städte und Regionen in den Bereichen Klimaschutz, Resilienz, Kreislaufwirtschaft, Biodiversität sowie Soziales und Gerechtigkeit zusammen. Für Projekte, die thematisch und zeitlich begrenzt sind, gibt es beispielsweise Connective Cities. Die internationale Städteplattform für nachhaltige Entwicklung unterstützt bei der globalen Vernetzung. Wir in Bonn haben zum Beispiel im Rahmen dieser Plattform Projektideen für inklusive Städte und die Förderung einer sozial gerechten Entwicklung mit den beteiligten Städten erarbeitet. Insgesamt gibt es – über die klassische Städtepartnerschaft hinaus – zahlreiche Möglichkeiten wie sich Kommunen weltweit gemeinsam engagieren können. Und das natürlich auch im Sinne der Agenda 2030.