Panel 1: Städtepartnerschaften und Hilfsleistungen
Vitali Klitschko, Oberbürgermeister von Kiew, bedankte sich herzlich für die bisher geleistete Unterstützung. Sie sei sehr wichtig, um den Krieg zu beenden. Dieser sei eine große Tragödie, in der jeden Tag Zivilisten, auch Kinder sterben. Er hoffe, dass irgendwann auch die russische Bevölkerung die Sinnlosigkeit dieser Tragödie begreife. Er empfahl, vorrangig konkrete Projektpartnerschaften, zum Beispiel mit Krankenhäusern, Kindergärten oder Schulen einzugehen. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort wissen genau, was am dringendsten gebraucht wird.
Ulrich Höring, Bürgermeister der Stadt Leipzig, erklärte, dass seine Stadt seit über 60 Jahren, seit 1961, eine Partnerschaft mit Kiew pflege. In dieser Zeit haben beide Städte vier politische Systeme (DDR/BRD sowie Sowjetunion/unabhängige Ukraine) durchlebt. Die Anforderungen für den Wiederaufbau seien jedoch viel größer als die übliche gegenseitige partnerschaftliche Unterstützung und erfordere enorme Ingenieurs- und Infrastrukturleistungen. Er warb daher für eine „Multi-City Financing Facility“ ähnlich eines Trust Fundes mit größeren Summen.
Alfred Riedl, Präsident des Österreichischen Gemeindebundes, beschrieb die Unterstützungsleistungen seines Landes. Hilfen, wie die Bereitstellung von circa 100 Fahrzeugen für die Müllabfuhr, Feuerwehr, Rettungsdienste und öffentlichen Nahverkehr werden über zentrale Organe des Zivilschutzes, wie das Rote Kreuz, organisiert. Die derzeitigen Lieferkettenprobleme beeinträchtigten allerdings weitere Hilfslieferungen. Die österreichischen Kommunen haben bereits sehr viele Geflüchtete aufgenommen. Als sehr hilfreich für die Koordination der Unterstützungsleistungen hätten sich regelmäßige gemeinsame Videokonferenzen mit den Bundesministerien für Bildung, für Gesundheit und des Inneren und dem österreichischen Gemeindebund erwiesen.
Dr. Bernd Vöhringer, Oberbürgermeister der Stadt Sindelfingen, betonte, dass persönliche Kontakte sehr wichtig seien. Um benötigte Hilfen und Hilfsangebote genau aufeinander abzustimmen, habe seine Stadt die sechssprachige Plattform www.cities4cities.eu initiiert. Sie steht unter der Schirmherrschaft des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarates. Über dieses niederschwellige und unkomplizierte Angebot konnten bereits Hilfslieferungen von mehr als einer halben Millionen Euro exakt auf die Bedarfe von Städten zugeteilt werden. Es steht auch Kommunen offen, die keine Städtepartnerschaft mit der Ukraine pflegen.
Panel 2: Städtepartnerschaften und Flüchtlingshilfe
Martin Horn, Oberbürgermeister der Stadt Freiburg im Breisgau, beschrieb die Partnerschaft mit Lviv, die seine Stadt seit 1992 mit zunehmender Intensität pflege. Zu Kriegsbeginn gab es eine große Welle der Solidarität in der Bürgerschaft – sowohl eine hohe Spendenbereitschaft wie auch Angebote, Geflüchtete aufzunehmen. Inzwischen sei der Krieg zu einer Alltagsrealität geworden und es bestände die Gefahr der Abstumpfung. Es sei daher wichtig, dass der Krieg nicht akzeptiert werde und die Infrastruktur im Lande zu stabilisieren, auch um eine Abwanderung von Fachkräften in weiteren Bevölkerungsteilen zu verhindern. Die weitere Unterstützung des BMZ käme daher zum richtigen Zeitpunkt. Die Uniklinik von Freiburg kooperiere beispielsweise mit Kliniken in Lviv bei der Versorgung mit Notstromaggregaten.
Andriy Moskalenko, stellvertretender Bürgermeister von Lviv, bedankte sich für die wunderbare Partnerschaft mit Freiburg. Die Hilfen seien sehr wichtig. Durch Raketenbeschuss seien Teile der Stromversorgung ausgefallen. Dabei habe Lviv zu Hochzeiten der Fluchtwelle bis zu 60.000 Menschen an einem Tag aufgenommen. Viele seien weitergereist, aber circa 150.000 Geflüchtete seien geblieben. Die Krankenhäuser von Lviv behandeln sehr viele Verwundete, darunter viele Zivilisten. Etwa 800, teils schwer verletzte Kinder wurden bisher in Kliniken behandelt. Man könne sich nur ein Bild von der Lage machen, wenn man mit eigenen Augen sieht, was passiert.
Alexander Mundt, Leitender Politikberater für Europa bei der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR, bestätige, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister für ihn die Hauptansprechpartner für die Koordination der Hilfen seien. Sie kennen die Bedürfnisse vor Ort wie auch lokale Netzwerke und Organisationen, die bei der Verteilung der Hilfen eine wichtige Unterstützung sind. Dabei sei es eine humanitäre Katstrophe größten Ausmaßes. Etwa ein Drittel der Ukrainerinnen und Ukrainer wurden aus ihrer Kommune vertrieben. UNHCR leiste erste Hilfe mit Lebensmitteln, Unterkünften sowie medizinische und psychologische Notversorgung. Auch die ukrainische Diaspora, die über ganz Europa verteilt sei, sei von großer Bedeutung. Sie hilft einerseits mit Spenden wie auch mit der Unterbringung und sozialen Integration der Geflüchteten in den Aufnahmeländern.
Dorota Cieślik, stellvertretende Bürgermeisterin der polnischen Stadt Chelm, beschrieb die Lage in ihrer Stadt. Chelm, mit einer Einwohnerzahl von etwa 60.000 liegt nur 21 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, in der Nähe eines zentralen Grenzübergangs. Bis zu 300.000 Geflüchtete haben diesen pro Tag überquert. Der Bahnhof von Chelm wurde zum zentralen Ort für die Weiterfahrt der Geflüchteten. Die Stadt half nicht nur mit logistischer Unterstützung, sondern beriet auch Geflüchtete bei der Identifizierung eines geeigneten Zielortes. Hierfür war es wichtig, dass europäische Städte in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Polen, Spanien und Österreich ihnen verfügbare Unterbringungsplätze meldeten. Auch mit Unterstützung der Partnerstadt Sindelfingen konnten 1.500 Schlafplätze bereitgestellt werden, in den Geflüchtete auf ihrer Durchreise sich bis zu drei Nächten aufhalten konnten. Inzwischen habe sich die Lage verändert. Mehr Ukrainerinnen und Ukrainer kehren in ihr Land zurück als es zu verlassen.
Rafal Bruski, Bürgermeister der polnischen Stadt Bydgoszcz, ergänzte dazu. Seine Stadt liegt zwischen Danzig und Posen und ist mit einer Bevölkerung von circa 350.000 industriell geprägt mit niedriger Arbeitslosigkeit. Er beschrieb drei Phasen der Fluchtbewegungen:
- Die ersten drei recht chaotischen Wochen in denen Tausende von Flüchtlingen unter großem Einsatz der Zivilgesellschaft notdürftig versorgt wurden. Auch die Unterstützung der Partnerstädte Wilhelmshaven und Mannheim waren hier sehr wichtig.
- Die Phase der Registrierung, wodurch Geflüchtete Zugang zu Sozialhilfe, zum Gesundheitswesen und zum Arbeitsmarkt erhalten haben.
- Die jetzige Phase, in der diejenigen, die geblieben sind, eine Arbeit und ein neues „Zuhause“ gefunden haben. Jeder Mensch, der sein eigenes Land verlassen muss, ist in Bydgoszcz willkommen.
Panel 3: Europäischer Kontext
Katharina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, betonte, dass das EU-Parlament fest und fraktionsübergreifend an der Seite der Ukraine stehe. Sie dankte auch Polen für die weitreichende Unterstützung. Gerade die polnischen Kommunen und die Zivilgesellschaft leisteten eine sehr gute und solidarische Arbeit. Die Koordinierung der Zusammenarbeit erfolge über den Ausschuss der Regionen. Die EU habe sieben Milliarden Euro für die Aufnahme von Geflüchteten bereitgestellt und Richtlinien für vorübergehende Arbeitserlaubnisse und Arbeitsschutz erstellt. Derzeit wird die Koordinierung des Wiederaufbaus der Ukraine in der EU vorbereitet. Auch laut der Lugano-Erklärung kommen hier den Kommunen und lokalen Gebietskörperschaften eine besondere Rolle zu. Das EU-Parlament unterstützt den ukrainischen EU-Beitritt, doch müsse der Wiederaufbau entlang der Beitrittskriterien nachhaltig sein und für Reformen der Verwaltungsstrukturen genutzt werden.
„Wir erleben gerade die Kraft der Städte“, so Peter Kurz, Oberbürgermeister von Mannheim, „responsiv, schnell Kooperationen einzugehen, agil und ganz konkret Hilfe zu leisten.“ Die Dezentralisierung, die Stärkung der ukrainischen Städte in den letzten Jahren, sei nun die Grundlage dafür, dass die kommunale Ebene essenzielle Unterstützungsleistungen zur Krisenbewältigung liefern kann. Die Stimmen der Städte seien auch perspektivisch wichtig und müssten stärker im internationalen Dialog Gehör finden. Die ukrainischen Städte benötigen nun andere Finanzvolumina für den Wiederaufbau der Infrastruktur und könnten einiges leisten in der Sicherung der Transparenz der Geldflüsse und in der Projektsteuerung.
Roman Klitschuk, Bürgermeister von Tscherniwzi, Ukraine, zeigte sich gerührt von der Unterstützung europäischer Städte. „Es ist ein gutes Gefühl, nicht allein dazustehen.“ Tscherniwzi mit einer Bevölkerung von knapp 260.000 und in der Nähe der rumänischen Grenze gelegen, beherbergt derzeit knapp 60.000 Binnenflüchtlinge, was in der jetzigen Situation die Infrastruktur der Stadt sehr belaste. Mannheim habe aber sofort reagiert und wertvolle Hilfe durch Generatoren und Medikamenten geleistet. Diese horizontalen städtischen Beziehungen seien sehr wichtig, auch um von den europäischen Erfahrungen zu profitieren. Dies werde auch die Integration der Ukraine in die EU erleichtern.
In seiner Videobotschaft würdigte Dr. Theophil Gallo, Landrat des Saarpfalzkreises, die enormen Leistungen polnischer und ukrainischer Kommunen in der Aufnahme und Versorgung Geflüchteter. Sein Vorschlag: Die sieben polnischen und zehn ukrainischen Landkreise entlang der ukrainisch-polnischen Grenze in die Europaregionen mitaufzunehmen. Dies würde die bestehende gute Zusammenarbeit durch ein Bündnis verstetigen und neue Ressourcen mobilisieren.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze zeigte sich zum Abschluss sehr beeindruckt von den sehr schnellen, unbürokratischen und umfangreichen Hilfen im Zeichen des Krieges. Sie wies noch mal darauf hin, dass die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt von Engagement Global Städtepartnerschaften unterstützt und diese Veranstaltung ein Auftakt für weitere Austauschformate sei. Und: „Wir helfen jetzt und solange es notwendig ist.“
Autor: Burkhard Vielhaber, erstellt im Juli 2022.