Welche Rolle spielt die Digitalisierung im Hinblick auf eine nachhaltige, integrierte Stadtentwicklung? Was sind aus Ihrer Sicht die größten Potenziale?
Friederike Rohde: Aus meiner Perspektive liegen die größten Potenziale tatsächlich darin, verschiedene Bereiche der Stadtentwicklung stärker zusammen zu denken. Beispiel: Wie wollen wir Klimaneutralität in der Stadt erreichen? Wie müssen wir dafür übergreifend verschiedene Sektoren wie Mobilität, den Bau- oder Energiesektor miteinander verknüpfen? Wie muss man die relevanten Bereiche zusammendenken, damit Klimaneutralität am Ende auch erreicht werden kann?
Es gibt auch viele Potenziale durch die Digitalisierung von Planungsprozessen beim Thema Infrastruktur und Infrastrukturausbau, um diese effizienter zu organisieren. Beispielsweise um zu vermeiden, dass eine Straße zweimal aufgemacht wird, weil das eine Mal die Wasserwerke Leitungen erneuern und zwei Monate später Glasfaser gelegt wird. Durch die Nutzung digitaler Technologien lassen sich Prozesse leichter bündeln und gemeinsam angehen.
Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass die Akteure, die dahinterstehen, natürlich auch sagen: „Ja, okay, wir wollen zusammenarbeiten. Wir sind auch bereit, bestimmte Daten von uns in so ein Tool einzuspeisen, damit andere Akteure diese auch nutzen können.“ Das ist immer noch eine große Hürde.
Wenn soundso viele neue Wohneinheiten, wo überwiegend Familien hinziehen, gebaut werden, ist es ja klar, dass wir dann eine neue Kita oder eine neue Schule bauen müssen. Durch Nutzung der Potenziale von digitalen Technologien lassen sich solche längerfristigen Planungsprozesse so gestalten, dass die notwendigen Infrastrukturen, vor allem die sozialen Infrastrukturen, besser mitgedacht werden und am Ende die Lebensqualität der Menschen vor Ort sich erhöht. Das sind so ein paar Beispiele.
Sie hatten es schon anklingen lassen: Die Leute müssen bereit sein, zusammenzuarbeiten. Das betrifft ja nicht nur die Digitalisierung. Sehen Sie da wirklich, dass das auch passiert? Und wo sehen Sie Risiken bei der Digitalisierung?
Friederike Rohde: Ich glaube, in bestimmten Bereichen passiert das schon, aber die Potenziale, die tatsächlich möglich wären, die werden noch nicht genutzt. Beispielsweise in Berlin: Es sind einfach sehr komplexe Verwaltungsstrukturen und auch die Verantwortlichkeiten sind in sehr unterschiedlichen Bereichen und Verwaltungseinheiten angesiedelt. Die Menschen zusammenzubringen, darüber nachzudenken, wie eine gemeinsame integrierte Stadtentwicklungsperspektive aussehen kann, ist der erste Schritt. Man darf nicht dem Trugschluss unterliegen, digitale Technologien könnten diesen Prozess ersetzen. Man muss zunächst versuchen, Menschen in den Dialog zu bringen und auch dafür sorgen, dass dieses Denken und Handeln in den Silos in der Stadt ein Stück weit aufgebrochen wird. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Aber digitale Tools können natürlich dabei helfen.
Die Menschen zusammenzubringen, ist der erste Schritt.
Wo ich Risiken sehe und was ich problematisch finde, ist der „Solutionismus“ technischer Lösungen, also dass man sagt: „Wir sammeln jetzt hier erst mal ganz viele Daten und dann gucken wir mal, was wir mit den Daten machen können.“ Anstatt umgekehrt zu fragen: „Was haben wir denn für Probleme in der Stadt? Was müssen wir denn angehen?“ Unser Ziel ist beispielsweise, die Luftqualität in der Stadt zu verbessern. Welche Daten brauchen wir denn, um dieses Ziel zu erreichen? Vielleicht müssen wir keine neuen Daten erheben, sondern einfach mehr Grünflächen schaffen oder die Stadt weniger attraktiv für Autos machen, zum Beispiel durch autofreie öffentliche Räume oder Parkraumbewirtschaftung, damit die Luftqualität sich verbessert. Ich glaube, dieses Verhältnis zwischen „Was kann man eigentlich mit digitalen Technologien erreichen und wo muss man vielleicht auch einfach ganz andere Sachen angehen?“ − da ein angemessenes Verhältnis zu finden, das ist eine sehr große Herausforderung, weil da natürlich auch viele Interessen hineinspielen.
Was braucht unsere Kommune wirklich?
Große Technologieunternehmen möchten auf diesem Markt in die Städte rein und versuchen dementsprechend dort auch ihre Interessen durchzusetzen bzw. machen das natürlich auch mit sehr geschickten Narrativen. Sie betonen, dass es eben ganz wichtig für die Umwelt sei und so weiter. Diese Zielsetzung des Umwelt- und Klimaschutzes ist dann ein Rechtfertigungsmuster. Das muss man auch mal klar sagen. Ich glaube, die Städte müssen da kritisch sein. Also tatsächlich überlegen: „Was braucht unsere Kommune wirklich? Was wollen wir erreichen und welche digitalen Werkzeuge können uns da helfen und wie wollen wir die einsetzen? Was für eine Kontrolle darüber wollen wir haben? Wollen wir selber die Daten kontrollieren? Wollen wir, dass das ein privatwirtschaftliches Unternehmen macht? Das sind Themen, die zurzeit an sehr vielen Stellen sehr kontrovers diskutiert werden. Die Städte haben da auch sehr unterschiedliche Ansätze.
Das heißt, es muss sich erst das Bewusstsein ändern, um dann die richtige Anwendung der Digitalisierung zu nutzen? Verstehe ich Sie richtig? Sonst besteht das Risiko, dass man umständliche bürokratische, analoge Prozesse einfach nur digital abbildet und daraus digitale bürokratische Prozesse schafft?
Friederike Rohde: Genau, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Verbesserungen werden nicht erzielt, wenn man einfach nur diesen komplizierten analogen Prozess in einen digitalen Prozess transformiert. Einen Planungsprozess zu digitalisieren, bedeutet eben auch immer, neu darüber nachzudenken, wie dieser Prozess eigentlich funktioniert und wer welche Rolle in diesem Prozess hat. Wenn man über das Thema integrierte Stadtentwicklung nachdenkt, geht es auch immer darum, zu gucken, welche Akteure in der Kommune arbeiten daran und sind wofür verantwortlich. Das ist oftmals ein Kompetenzgerangel und diese Klüfte dann auch zu überwinden, das ist eine große Herausforderung auf einer sozialen Ebene.
Einen Planungsprozess zu digitalisieren, bedeutet eben auch immer, neu darüber nachzudenken, wie dieser Prozess eigentlich funktioniert
Berlin arbeitet an seiner Smart City Strategie und ist gerade dabei, unter Bürgerbeteiligung ein Weißbuch zu erarbeiten, das beschreibt, wie und mit welchen Mitteln diese umgesetzt werden soll. Sie begleiten diesen Prozess in dem Bündnis Digitale Stadt Berlin. Was sind das für Erfahrungen? Was lief gut? Sind die richtigen Akteure am Tisch? Und was könnte besser laufen?
Friederike Rohde: In Berlin ist es so gewesen: der Anstoß für das Bündnis Digitale Stadt war, dass die Digitalisierungsstrategie für die Stadt, die damals von der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe beauftragt wurde, an das Beratungsunternehmen Ernst & Young vergeben wurde. Da gab es in der Stadtgesellschaft, bei vielen Akteuren aus der Zivilgesellschaft, einen sehr großen Aufschrei: „Das geht nicht, dass jetzt eine Beratungsagentur diese Digitalisierungsstrategie für die Stadt schreibt.“
Die Digitalpolitik in Berlin ist auch ein ziemlicher Flickenteppich. Es gibt sehr unterschiedliche Bereiche und Verwaltungseinheiten, die dafür zuständig sind. Neben der Digitalisierungsstrategie von der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe gab es die Smart City Strategie, wo diejenigen, die sich eher mit dem Thema Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung beschäftigt hatten, zusammensaßen. Nun wird versucht, diese Bereiche stärker zu integrieren und eben zu sagen: „Okay, wir wollen eine gemeinsame Strategie haben.“ Die Smart City Strategie wird sehr viel partizipativer gestaltet und verschiedene Akteure aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft, aber auch die Gruppen, die sonst in der Stadt nicht so stark gehört werden, werden befragt und eingebunden. Das wird sehr stark in Berlin vom City Lab begleitet, das eben auch diesen ganzen Partizipations- und Beteiligungsprozess organisiert. Da werden aus meiner Sicht schon sehr viele gute Ansatzpunkte verfolgt. Wir haben einen Runden Tisch dazu organisiert, aber die Kapazitäten das umfassend zu begleiten sind natürlich bei einem Bündnis aus Ehrenamtlichen auch begrenzt.
Was wir als Bündnis jetzt auch machen jenseits dieser Smart City Strategie, ist das Thema Stadtportal. In Berlin wurde das Stadtportal „Berlin.de“ rekommunalisiert und ist jetzt wieder in öffentlicher Hand. Da sind wir gerade dabei, uns mit den Verantwortlichen auszutauschen und versuchen, die Perspektive der digitalen Zivilgesellschaft mit einzubinden und die Potenziale eines guten Stadtportals herauszuarbeiten. Viele Verwaltungsdienstleistungen können dort auf eine sehr sinnvolle Art und Weise integriert und gebündelt werden. Aber da haben wir eben auch genau das Problem, dass die Struktur von diesem Stadtportal sich sehr stark am verwaltungstechnischen Aufbau der Stadt orientiert. Und das macht es einfach sehr komplex und für die Bürgerinnen und Bürger nicht immer zugänglich. Es gibt viele Felder zu beackern...
Public Money, Public Code
Mal visionär gedacht: Angenommen, diese Entwicklungen laufen optimal. Wie sollte denn Ihrer Meinung nach eine Smart City Berlin im Jahr 2030 aussehen?
Friederike Rohde: Der Idealfall sähe so aus, dass man zum einen aus einer technischen Perspektive auf Lösungen setzt, die Open Source sind oder die zumindest möglichst viele offene Schnittstellen aufweisen und einen Open Source-Ansatz dort verfolgt, wo es möglich und sinnvoll ist. Nach dem Motto „Public Money, Public Code“. Städte und Kommunen könnten da eine Vorreiterrolle einnehmen. Das wäre schon ein wichtiger Schritt.