Herr Dr. Wilhelmy, wie sähe die Stadt von morgen für Sie aus? Mit welchen Themen beschäftigt sich diese Stadt?
Dr. Stefan Wilhelmy: Ich möchte auch den Aspekt der Nachhaltigkeit unterstreichen, die oft mit einer rückwärtsgewandten, bestandswahrenden Sichtweise verwechselt wird. Die Stadt von morgen wird sich aber vor allem darin auszeichnen, dass sie sich globalen Herausforderungen stellt und sich für zukünftige Herausforderungen gut vorbereitet. Die aktuelle Corona-Pandemie ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch deutsche Städte zunehmend mit globalen Veränderungen konfrontiert sein werden. Und daher wird es aus meiner Sicht für die Stadt der Zukunft ganz zentral sein, dass man damit gut umgehen kann. Unsere Kommunen sind international vernetzt – auch wirtschaftlich.
Welche Rolle spielen kommunale Handelsbeziehungen in der Entwicklungspolitik?
Dr. Angelika Kordfelder: Spätestens seitdem uns das Thema Covid-19 erwischt hat, wissen wir, dass in dieser Welt alles mit allem zusammenhängt. Länder wie China und Brasilien sind nicht mehr weit etfernt, und wir haben eine Verpflichtung, auf die gesamte Welt zu gucken. Die politischen Vertreterinnen und Vertreter vor Ort wissen um diese Zusammenhänge. Bei der Bevölkerung sollte das spätestens zu dem Zeitpunkt angekommen sein, als klar war, dass viele Medikamente oder der Mundschutz aus China geliefert werden und es auf Grund dessen Verzögerungen im Handel gegeben hat. Außerdem ist jetzt im Zusammenhang mit dem Lieferkettengesetz sehr viel darüber gesprochen worden, wie diese Lieferketten tatsächlich aussehen, zum Beispiel in der Textilindustrie. Und es ist deutlich geworden, dass wir uns auch in dem Zusammenhang dafür einsetzen müssen, zu einer gerechten und auf Dauer überlebensfähigen Gesamtwelt zu kommen.
Inwieweit sind diese internationalen Verflechtungen auch für die Kommunen relevant?
Dr. Stefan Wilhelmy: Ich finden diesen Aspekt spannend, den Frau Dr. Kordfelder eingebracht hat. Es ist ein leistungsfähiger Weltmarkt entstanden, der eine hohe Versorgung der Bevölkerung mit allen möglichen Dienstleistungen und Produkten zu oft extrem günstigen Preisen mit sich bringt. Das hat aber auch Konsequenzen, nämlich - das Thema Textil wurde schon angesprochen – dass diese zum großen Teil unter unwürdigen Bedingungen hergestellt werden, zu Löhnen, die nicht ausreichend für eine Grundversorgung der Menschen sind. Man muss auch da den gesamten Kreislauf sehen.
Wir sehen das auch beim Thema Digitalisierung, das momentan sehr positiv diskutiert wird. Die flächendeckende Versorgung mit Laptops und Smartphones erfordert aber auch viele Ressourcen, die unter teilweise katastrophalen Bedingungen in Ländern des Globalen Südens abgebaut werden. Und es handelt sich dabei um endliche Ressourcen. Das trifft sicherlich auch auf den Bereich der Elektromobilität zu, der unter Klimagesichtspunkten sehr positiv gesehen wird, aber auch mit großen Umweltbelastungen einhergehen kann, wenn wichtige Komponenten wie Akkus nicht nachhaltig produziert und am Ende einer ordnungsgemäßen Wiederverwendung zugeführt werden.
Und einen Aspekt, den auch Frau Dr. Kordfelder schon angesprochen hat, finde ich ganz zentral: Wo profitieren wir von diesen globalen Verflechtungen und wie viele regionale Wirtschaftskreisläufe braucht es daneben? Es ist aus meiner Sicht äußerst bedenklich, dass ein hochentwickeltes Land wie Deutschland nicht in der Lage war, so etwas Einfaches wie Mundschutzmasken herzustellen. Jedenfalls hat es ja eine ganze Weile gedauert, bis das überhaupt möglich wurde. Und das zeigt, in welche starke Abhängigkeit man sich längst begeben hat. Ich glaube, auch Kommunalvertreterinnen und -vertreter stellen sich derzeit die Frage, wie man Strukturen vor Ort aufstellen kann, um genau diese Schocks besser zu bewältigen.
Dr. Angelika Kordfelder: Ja, es ist das eine, zu überlegen, wie man als Kommune und Land handlungsfähig bleibt. Es wird aber auch deutlich, wie bedeutsam internationale Beziehungen sind. Das ist vor allem in der momentanen Corona-Situation allen klargeworden. Es ist wichtig, dass sich Kommunen international einbinden, zum Beispiel auf europäischer Ebene durch den RGRE (Rat der Gemeinden und Regionen Europas) und das CEMR (Council of European Municipalities and Regions), oder weltweit durch den UCLG (United Cities and Local Governments).