Ein zweites Problem stellte die Rechtslage dar. Soziale und ökologische Kriterien werden bisher nicht angemessen bei der Beschaffung berücksichtigt, weil es noch immer keine verbindlichen Regelungen zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht auf Bundesebene in Form eines Lieferkettengesetzes gibt. Und im Vergaberecht gibt es zur Einhaltung und Kontrolle der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) je nach Bundesland unterschiedliche Regelungen: mal „sollen“, mal „können“ Kommunen bei der Beschaffung Nachweise zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen einhalten. Diese Kernarbeitsnormen umfassen das Verbot von Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Diskriminierung sowie das Recht auf Kollektivverhandlungen und Vereinigungsfreiheit. Noch nicht einmal wünschenswerte Standards, wie ein existenzsichernder Lohn oder bezahlte Überstunden, sind durch die ILO-Kernarbeitsnormen abgedeckt. Das Vergaberecht gestattet den Kommunen also auch Güter zu beziehen, die unter Arbeitsrechtsverletzungen, Zwangs- oder Kinderarbeit hergestellt worden sind. Und in der Regel geschieht genau das, denn Unternehmen, die gegen arbeitsrechtliche Mindeststandards verstoßen, haben einen monetären Wettbewerbsvorteil.
Auch in der Art und Weise, wie die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen nachgewiesen werden soll, lässt das Vergaberecht den Kommunen Spielräume. Üblicherweise wird eine einfache Eigenerklärung der Händler verlangt, deren Angaben faktisch nicht überprüfbar sind. Solche Eigenerklärungen und Code of Conducts, also Zertifikate, die auf ehrenwörtlicher Basis ohne externe Verifizierung vergeben werden, sind weder transparent, untereinander vergleichbar, noch glaubwürdig. Dabei gibt es für den öffentlichen Einkauf die Möglichkeit mit dem Online-Tool „Kompass-Nachhaltigkeit“, eine Auswahl glaubwürdiger, vergleichbarer und vergaberechtskonforme Nachweise zur Kontrolle von Arbeitsrechtsstandards auszuwählen.
Es liegt nicht in der individuellen Verantwortung des einzelnen Beschaffers, Produktionsbedingungen selbst zu recherchieren, aber diese sollten den gesetzlichen Spielraum zur Forderung von glaubhaften Nachweisen zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen maximal nutzen. Beratungsangebote zur sozial verantwortlichen Beschaffung gibt es bei der SKEW, bei der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung und bei Nichtregierungsorganisationen (Electronics Watch, WEED e.V. - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung, FEMNET e.V., Südwind e.V., Christliche Initiative Romero e.V.).
Sprechen Sie Ihre Stadtverwaltung an, machen Sie sie auf das Thema aufmerksam. Immer mehr Kommunen bemühen sich um einen fairen Einkauf und teilen ihre Erfahrungen gern! Eine Übersicht von Praxisbeispielen und weiteren Informationen finden Sie im Kompass Nachhaltigkeit.